Kinder und was sie anrichten

Eigentlich geht es gar nicht um Kinder, es geht um Kultur und modern power und Wahrheitsansprüche und die Unvereinbarkeit der Moderne mit der archaischen Realität eines Kindes, das der Sorge bedarf.

Aber von vorn.

Um mich herum werden viele Menschen Eltern, und dann verschwinden sie leider allzu häufig in ihrer Kleinfamilie. Das ist für mich sehr schade, und im letzten Jahr ging es in meinem Leben viel ums Loslassen und Abschiede, und das war schwer. Aber es soll kein Vorwurf sein, denn die Unabwendbarkeit dieser Entwicklung ist durch ihren Widerspruch zu dem, wie meine Freundinnen und Freunde zuvor immer waren, was sie immer beteuerten, absolut eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Das geht wohl einfach nicht anders.

Einerseits sind Kinder wirklich wunderbar, und aus diesem Glück heraus entsteht vielleicht weniger stark das Bedürfnis nach „mal was anderes erleben“. Aber auch aus Windelbergen, Bilderbüchern und Schlafentzug entsteht eben herzlich wenig.

Dafür habe ich Verständnis. Rein zeitlich und von der Kraft her muss man natürlich ein bisschen verschwinden.

Allerdings verschwinden diese Eltern auch identitär oft ein ganzes Stück, beziehungsweise sind da bestimmte Aspekte der Eltern-Identität kaum in Übereinstimmung zu bringen mit der bisherigen Identität, und das irritiert mich mehr und mehr, je öfter ich es erlebe.

Es ist dann nicht nur so, dass Neubaugebiete natürlich praktisch und bezahlbar sind für junge Familien, es wird auch gar nicht mehr verrückt oder verpieft gefunden. Nicht nur sind Babys natürlich süß und erweichen Herzen, sondern es wird über kindliche Schuhe geredet, wenn ich wilde Entwicklungen aus meinem Sexleben erzähle.

Beziehungsthemen liegen auf einmal brach, Sehnsüchte und Persönlichkeitsanteile die ich mal toll fand: wie aussortiert.

Nun will ich nicht ausschließen, dass ich die transformative Kraft von Kindern unterschätze und einfach griesgrämig geworden bin, weil meine Freunde keinen Bock und keine Kraft mehr für die Sachen hatten, die uns mal verbunden haben, aber ich glaube, da zeigt sich noch etwas anderes.
Manche der Eltern machen dann nämlich gelegentlich so eine Art Ausbruch: „Die Kinder sind bei Oma, komm vorbei! Wie früher! Komm doch vormittags, da bin ich allein!“

Gleichzeitig höre ich auch oft: „Besuch uns doch mal, du musst das Kind angucken, es ist so wunderbar.“

Ich finde das schizophren, und es lässt mich glauben, dass moderne Elternschaft den Versuch unternehmen muss, auf zwei Gleisen gleichzeitig zu fahren: auf dem Gleis des alten Lebens und auf dem Gleis des neuen Lebens mit Kind. Und gelegentlich wird dann mal das Gleis gewechselt.

Aber das ist perfide, niemand kann zwei Leben leben, und ich glaube es fehlen Ideen dazu, wie man so leben kann, dass man weiter einfach so ist, wie man eben ist, und die Kinder sind mit dabei, werden zu einem weiteren Teil, der – und das ist der Knackpunkt – mit dem anderen überein geht.

Ich merke nämlich, dass ich als Außenstehender weder auf das eine noch auf das andere Gleis so richtig Lust habe. Das Wiefrüher-Gleis macht mein Leben zu einem touristischen Ausflugsziel, und das Reihenhäuser-Gleis ist völlig irritierend für mich, ich kenne die Leute nicht, die das plötzlich ganz ernsthaft überlegen.

Stattdessen würde ich mich total freuen, wenn in meinem Leben mehr Kinder wären – und meine Freunde wären auch noch da! Ich will ein drittes Gleis. Nicht nur ich, auch die Eltern wirken zerrissen – vielleicht fehlt das dritte Gleis auch ihnen.

Ich will nicht nur dann kommen dürfen, wenn das Kind so unkompliziert ist, dass wir kurz das Wiefrüher-Gleis befahren können, ich hätte lieber Strukturen, in denen Freundeskreise ganz natürlich um die Kinder erweitert werden. Dann geht man halt nicht mehr ins Café, sondern lernt, wie man zuhause die Kaffeemaschine bedient. Nimmt sich was zu lesen mit. Lernt wickeln. Trifft sich in größeren Gruppen, und Teile betreuen die Kinder, während andere gemeinsam reden oder arbeiten oder spielen.

Es wirkt manchmal so, als wenn den neuen Eltern (und dem Rest der Welt gleich mit) gar keine anderen Skripte zur Verfügung stehen als die ganzen ollen Kamellen, die dann natürlich auch das Reihenhaus und das Abendessen im kleinen Kreis und die Quarantäne bei Krankheit mit sich bringen. Und immer wenn ich sowas entdecke, ist mein Ehrgeiz geweckt: neue Skripte!!

Natürlich ist das leichter gesagt, und selbstverständlich fällt einem zum Kind mit 39° nicht als erstes Besuch ein. Aber ich glaube, dass wir als Gesellschaft natürlich neue Formen finden können, andere als nur die Kernfamilie.

Wir schaffen es beim Thema Liebesbeziehung (immer mehr Prominente entfernen sich öffentlich von den monogamen Diskursen), beim Thema Altern (fourth age, Mehrgenerationenhäuser), beim Thema Arbeit (Teilzeit), wieso nicht beim Thema Leben mit Kind?
Wenn man im ersten Jahr so viel krank ist, ist es doch bescheuert, wenn man dann jedes Mal sagt „kommt lieber nicht vorbei, wir wollen die normalen Leute nicht anstecken“. Ist dann eben so! Oder Mundschutz, oder Grippe-Impfung, aber doch nicht Parallelgesellschaft!

Das ist in meinen Augen nicht zu trennen von der Romantisierung von Kindheit und – erstmal schön – der großen Freiheit in modernen Gesellschaften durch zivilisatorischen Fortschritt. Wenn die Feldarbeit ruft, dreht sich ganz logisch nicht alles ums Kind, sondern um die Rüben, und das Kind muss eben mitmachen, und möglichst bald sogar helfen.

Und so führt die große Liebe zu Kindern und der hohe Stellenwert von Kindheit als „wunderbar“ dazu (erleben die meisten Erwachsenen rückblickend übrigens gar nicht so, da ist oft viel Angst, Unsicherheit und Erfahrungen von Unterdrückung und Machtlosigkeit), dass die Gesellschaft Kinder nicht „einfach“ als zugehörig erlebt, sondern als eigene Epizentren, in deren Einflussbereich andere Regeln gelten.

Und ich wage die steile These, dass es anders, auf einem Gleis mit allem, für alle Beteiligten besser wäre.

5 Gedanken zu „Kinder und was sie anrichten“

  1. Wie ich schon auf einem anderen Kanal schrieb: Ja. Und Nein. Auf jeden Fall aber eine sehr, sehr wertvolle Beobachtung. Und jetzt wo Du wieder bloggst, fällt mir erst auf, wie sehr mir Deine wertvollen Beobachtungen eigentlich fehlen. Aber der Reihe nach.

    Ja, deine Beobachtung zeitgenössischen Jungelterndaseins kann ich so in weiten Teilen unterschreiben. Gerade die Zweigleisigkeit trifft es ziemlich auf den Punkt. Gerade weil sich eben „mit dem Kind alles ändert“ (wie man als Jungeltern ja oft gesagt bekommt und dann auch wirklich so erlebt) sind die Ausflüge ins So-war-mein-Leben-vor-den-Kindern-Land ja doppelt willkommen: Zum einen weil man ja sowieso was Nettes macht, und zum anderen um sich selber zu beweisen, dass noch etwas von früher erhaltbar ist.

    Auch die Einfamilienhaus-Problematik kenne ich nur zu gut, auch wenn das konkrete Einfamilienhaus für uns tatsächlich nicht wirklich zur Debatte steht (ich aber weiss, dass wir damit ziemlich alleine stehen auf weiter Elternflur). Aber Autofahren und Autohaben ist für mich praktisch eine identische Niederlage, die aber immer und immer und immer wieder an die Tür klopft und sagt: „Aber es wäre doch sooo viel leichter, wenn Du ein eigenes Auto hättest“. Bei Häusern ist es ja eigentlich nochmal schlimmer, weil immer noch die „Altervorsorge“ gleich mit an der Tür steht. „Eigentum, später keine Miete zahlen, blablabla“.

    Und Nein, ich glaube, Du liegst bei den Gründen für all das etwas daneben. Ich kann da nur für die Familie sprechen für die ich ein Teil bin. Was wir in den letzten drei Jahren gelernt haben sind folgende zentrale Dinge: Erstens fehlt es immer an Kraft. Man hört latürnich Gruselgeschichten über Schlafentzug und all das, aber selbst ohne Schlafentzug sind Kleinkinder mit weitem, weitem Abstand das Anstrengendste was ich je gemacht habe. Das alleine ist zwar auch schon „schlimm“, aber was es wirkich zu der Katastrophe macht, die Du von aussen beschreibst, ist die Einsicht, dass für Babies und Kleinkinder eigentlich nichts wichtiger ist als Routine. Schon ein Kaffeetrinken bei Oma und Opa kann dazu führen, dass man zwei Tage oder auch eine ganze Woche lang ein unausgeglichenes Kind hat und dann kippt der Alltag von anstrengend in unerträglich. Deshalb habe ich als Vater eine schon fast instinktive Abwehrhaltung gegen Routineunterbrechungen entwickelt. Wir kochen z.B. abends nicht mehr, weil das Madamchen eh an fünf von sieben Abenden das Gekochte verschmäht und ein Brot geschmiert bekommt. Und selbst das ist noch nichtmal wirklich verheerend. Was noch dazu kommt ist, dass man da in einem stetigen Evolutionsprozess steckt und heute nicht weiss, ob das, was man gestern gemacht hat morgen wirklich noch funktioniert, es wird ausprobiert, angepasst, ausprobiert, angepasst. Die Kinder entwicklen sich ja so schnell weiter. Soviel nur zur Erklärung … nicht zu Rechtfertigung.

    Dann aber auch schon: Du hast latürnich Recht, neue Skripte müssen her! Ich bin inzwischen überzeugt, das zwei zu wenig sind für’s Kindergrossziehen, insbesondere wenn man a) versucht sowas wie attached parenting zu machen und b) versucht nicht die traditionelle Einer-arbeitet-eine-bleibt-zuhause-Rollenverteilung zu machen. Und ich habe schon mehrfach überlegt, dass man eigntlich die ersten 10 Jahre der Kinder eine andere Lebens-Form bräuchte, mit grösserem Rahmen. Ich merke das immer besonders, wenn wir in NHK sind: 8 Väter/Männer und mehr als 8 Kinder funktioniert ziemlich gut. Man bekommt die Kinder immer gleich im Pulk unterhalten und beschäftigt, irgendwer kocht und für den einen oder anderen sind sogar gleich mehrere freie Stunden am Tag drin. Zugegebenermasse ist das auch Urlaub und auch nicht unanstrengend, aber es fühlt sich irgendwie sinnig an. Nur … wie machen?

    Ich glaube ich spreche da aber für die ganze Familie hier: Du bist herzlich eingeladen, mit uns auszuprobieren, was immer Dir/uns gemeinsam einfällt, ohne dass wir gleich zusammenziehen müssen!

    Finale Randbemerkung: Lustiger Weise ist der Teil von mir, der nach der Geburt der kleinen Giraffe am stabilsten geblieben ist genau das hier: Bloggen, in anderen Blogs kommentieren. Die Asynchronizität und Verteilerfunktion (ich schreibe ja in einen Freundeskreisraum hinein und nicht explizit einzelne an) machen es glaube ich besonders einfach, damit trotz Kindern weiterzumachen.

    1. Das kann gut sein, dass ich die Gründe nicht ganz begreife von außen! Aber es freut mich sehr, dass du mit meiner Beobachtung was anfangen kannst.
      Das mit der Routine finde ich nachvollziehbar, aber aus zwei Gründen reicht mir das nicht:
      1. könnten ja auch größere Bezüge zu Routine werden. Wenn ein Kind regelmäßig zum Musikgarten gehen kann, könnte es auch regelmäßiges Brunch mit Freundeskreis geben.
      2. halte ich das für enorm kulturell. Das war nicht immer so, und das ist auch nicht überall so, dass sich der Alltag nach diesen kindlichen Bedürfnissen richtet. Ich glaube, Kinder können ne ganze Menge lernen, und welches „normal“ die so kennen, ist variabel. (Wobei ich zugebe: wenn die einmal eine Normalität kennengelernt haben, dann sitzt die eben und soll bitte auch so bleiben).

      Deine Beobachtungen aus NHK sind für mich dabei interessant: da ist dann was ganz anderes normal, und es geht auch.

      Will sagen: eine andere Welt ist möglich. :)

      1. Ja! Völlig d’acord! Wie extra erwähnt: Die Routine ist keine Rechtfertigung, sondern wirklich „nur“ eine Erklärung. Routinen zu verändern und um andere Routinen zu ergänzen ist selbstverständlich möglich, birgt nur eben immer ein Risiko, dass es schief geht, weshalb man davor immer erstmal zurückschreckt. Eltern sind immer froh, wenn man was gefunden hat, dass für die ganze Familie funktioniert. Never change an running system, ya know?! :)

        Und: Ganz genau wie Du gesagt hast: Es fehlt halt an Skripten dafür. Mal ein Beispiel dafür, was bei uns funktioniert: Der Patenonkel (was bei uns latürnich ein atheistisches „Amt“ ist) der kleinen Giraffe wohnt in Bonn und kommt daher immer über Nacht und übernachtet dann auch bei uns. Da gibt’s dann den ganzen Alltag mit samt Patenonkel. Vom Abendbrot, übers Baden, Zähneputzen, Bepöltern und ins Bettbringen (sie bringt ihn ins Bett) und die umgekehrte Routine am Morgen bis hin zur Nachmittagsgestaltung ist der Patenonkel 100% in den Alltag integriert, einschl. eigener kleiner Mikrorituale. Funktioniert super. Aber vermutlich „nur“, weil es eben regelmässig passiert. Sprich: Wenn neue Skripte, dann gleich mit eingebauter Regelmässigkeit (foreach(){} und so …), bitte.

        Und klar, ganz selbstverständlich ist das kulturell. Ich wüsste gar nicht, was es sonst sein sollte (da ich ja fast alle biologistischen Erklärungen als barbarisch ablehne).

        1. Das klingt wunderbar mit dem Patenonkel! Auch sehr intensiv, aber cool. Ich glaube, es fehlt sowohl bei den Besuchenden, bei den Eltern UND nicht zuletzt beim Kind auch an Sicherheit, wie das jetzt geht. Und selten sind die Bezüge so eng, dass sich jemand trauen kann, das zu thematisieren:
          „Bleib gern, aber dann mach bitte über Besucherskript mit, und das heißt: du liest vor und sagst nach einer Geschichte, dass mehr nicht geht und dann gehst du und knipst das Licht aus“.
          „Ich komme gern zum Frühstück, aber fände es toll, wenn wir uns mit dem Kind abwechseln, damit wir auch zum Reden kommen. Ist es okay, wenn ich mal zum Spielen rübergehe, und später dann wer von euch, und noch später der/die andere von euch, anstatt dass wir immer zu viert sind und alle zu kurz kommen?“
          Braucht halt alles Mumm.

          1. Jaha, schöne Beispiele sind das. Aber Du hast Recht, das braucht in der Tat etwas Mum, es weicht ja schliesslich auch vom normalen „Gastgeberskript“ ab, das ja vorsieht, dass man sie maximalgut um seine Gäste kümmert. Aber meine Erfahrung ist: Das macht man ja eignetlich gerne. Ich hab das zumindest immer gerne gemacht, also ich noch keine Kinder hatte und bei anderen, die Kinder hatten zu Besuch war. Vorlesen, Wickeln und so … das ist ja kein Problem und erst Recht keine Zumutung.

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