Unruhe im Nest

Über Beziehungen gibt es ne ganze Menge Ideen – zu merken, dass viele davon für mich nicht passen, war der Beginn meines Wegs, der mich augenblicklich an einem Ort namens „Polyamory und Beziehungsanarchie“ sein lässt.

Natürlich sind die Ideen und Diskurse über Beziehungen dennoch solide in mir verankert, und ich spüre sie meistens vor allem in Form eines schlechten Gewissens, einer Unruhe…

Gerade aktuell bin ich darüber gestolpert, dass ich manchmal ein bisschen unruhig war in der zweisamen Zeit mit meiner Freundin A. und mich schlecht gefühlt habe.

A. ist meist ungetrübt froh, wenn wir uns sehen, und mir war meine Trübung unangenehm… Sollte ich nicht total glücklich sein? Großer Diskurs über Beziehung: Beziehung macht dich glücklich. Stimmt was nicht in der Beziehung? Stimmt was nicht mit mir? Wasnhierlos?

Ich muss dann immer tüchtig sortieren, weil ich von mir weiß, dass ich auch einfach nervös werden kann in Bindung, und das hat weder mit Problemen in der Beziehung noch mit Beziehungsanarchie zu tun, sondern mit Bindungsthemen (die man natürlich auch ernst nehmen sollte, aber halt was anderes sind). Trotzdem will ich auch nicht bei allem sagen „Ist nur Angst, hab dich nicht so“, weil man dann natürlich immer den Maßstab des Normalen anlegt und überhaupt keine Chance hat, das eigene heraus zu finden. Die dominanten Diskurse sind logischerweise die, die am besten gebahnt sind und am schnellsten in den Sinn kommen. Aber deshalb sind sie noch lange nicht richtig oder die Lösung für eine Unruhe. Aus meiner therapeutischen Tätigkeit habe ich die Überzeugung mitgenommen, dass eine solche Unruhe eine Spur von etwas wichtigem ist: ich bin unruhig, weil es um was wichtiges geht, weil irgendwas bedroht oder beschränkt wird, das mir am Herzen liegt.

Ich glaube, dass gerade mehrere Sachen bei mir aktiv sind:

  • Mein Freiheitsmotiv, also mein Wunsch, möglichst wenig in meinem Leben von Begrenzung bestimmt zu wissen. Das springt an, weil in meinem Leben gerade sehr viel von außen determiniert ist (2 Jobs, Training geben im Frisbee, Mama helfen) und schnell passiert es, dass sich die Realität, A. in der übrigen Zeit auch mal zu treffen, ebenfalls determiniert anfühlt. Freiheit heißt ja, wählen zu können, und mit wenig Zeit gibt es auch weniger Wahlmöglichkeiten.
  • Meine Sorge vor Standards in Beziehung und damit zusammenhängend mein Wunsch nach einer Beziehung, die sich über Offenheit und Beflügeln definiert (und nicht über Trutz und Schutz). Wenn sich das mit A. so anfühlt, dass ich halt immer wenn ich frei habe was mit ihr mache, fühlt sich die Beziehung eher nach etwas an, wo man Schutz sucht, wie eine Basis. Das sind keine schlechten Eigenschaften, aber diese Metapher hat Nebenwirkungen: die Welt ist gefährlich, die Beziehung ist die Rettung… Das ist nicht stärkend.
  • Bindungsthemen, zum Beispiel meine Sorge davor, ein schlechter Partner zu sein aber auch eine Tendenz, weniger gut lieben zu können wenn die andere Person ein großes Ja hat (sehr bescheuert, aber leider als Muster deutlich). Damit korrekt umzugehen ist nicht so einfach, insbesondere wenn es nur ein Aspekt von vielen ist. Hier denke ich: erstmal den restlichen Ballast auf der Situation klären und dann schauen was übrig bleibt.
  • Mein Wunsch nach Freundschaft und Zeit mit vielen tollen Menschen (was bedroht ist durch zu viel Zweisamkeit, unabhängig davon wie schön die Zweisamkeit ist). Das ist ein altes Thema, weil zwischen 30 und 40 viele Menschen intensive Bindungen eingehen, die viel Fürsorge und Verantwortung beinhalten (Ehe, Kinder, Hausbau, Schulden), und meine Freunde sind größtenteils aus meinem Leben verschwunden. Man mag behaupten, die Freundschaft ist noch da, auch wenn man sich nur 4x im Jahr sieht, aber ganz ehrlich… Das trägt ja nicht. Das ist kein Bestandteil eines Lebens sondern eine schöne Idee.
  • Beziehungsanarchie und mein Wunsch, dieser Seite in mir gerecht zu werden (möglichst ohne dass ich auf Teufel komm raus irgendwas umschmeißen muss, dass an sich wunderbar ist), weil es so leicht ist, diese häufig unpopuläre und etwas schwierige Seite (sowohl für Partnerinnen wie auch für mich) ein bisschen zu vergessen und doch in sich die Gefühle finden zu wollen, die man aus den Romantikkomödien kennt…

Ganz schön kompliziert! Aber nota bene: nichts davon ist ein Problem zwischen A. und mir, nichts davon hat jemand falsch gemacht oder Schuld auf sich geladen.

Ich habe leider noch keine Pointe für diese Situation (because that is not how life works), aber möchte wieder etwas mehr über Beziehung und Liebe bloggen.

2 Gedanken zu „Unruhe im Nest“

  1. „Beziehungsanarchie“ war mir noch gar nicht untergekommen als Begriff und im ersten Moment musste ich schmunzeln, weil ich zuerst an Chaos und Erster-Mai-Demos und so gedacht habe, aber dann aber ich latürnich soforft gesehen, dass es um herrschaftsfreie Beziehungen geht. Sehr schöne Idee eigentlich. Streich das eigentlich.

    1. Ja, ich war ganz froh darüber gestolpert zu sein – ich hab mich ja zeit meines Lebens in Freundinnen verliebt, und Beziehungsanarchie beschreibt sehr schön ein Gefühl, das ich kenne: jeder Kontakt ist einzigartig, die Trennung ist eben nicht so klar, wie zwei Worte (Freundschaft/ Beziehung) es erscheinen lassen – zumindest nicht für mich. Und frei von der Herrschaft dieser Dichotomie, der Erwartungen und Wahrheiten in Beziehung zu sein finde ich sehr erstrebenswert.

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