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Congratulations on your beautiful wife

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Anzahl Kommentare: 3 Kommentare

Okay, schwieriges Thema… Ich möchte versuchen einen kniffligen Aspekt von Sexismus darzustellen, und will dabei möglichst achtsam sein.

Kurz zum Hintergrund: in der Frisbeeszene, zu der ich dazugehöre, gab es letztens einen kleinen Skandal, weil ein wichtiger Repräsentant auf Twitter Sachen geschrieben hat, die seine Eignung in Frage gestellt haben, Frauen gut zu repräsentieren. Sachen wie „Women are reproducers, men are producers“ und „I don’t believe patriarchy exists“. Ich stimme seinen Aussagen nicht zu und fand sie dösig.

Ich habe diesen Mann eine Weile danach auf einer Frisbeeveranstaltung getroffen und mich ein bisschen mit ihm unterhalten. Einerseits, weil ich gern meinen Einfluss geltend machen wollte und dachte, vielleicht kann ich ihm mit feministischen Gedanken weiterhelfen. Andererseits auch, weil ich die Reaktion auf seine Tweets schon relativ groß fand, plötzlich schien es so, als wenn er insgeheim schon immer ein mieser Sexist gewesen wäre, und das wirkte vorher überhaupt nicht so. Ich finde ja, man darf auch mal daneben liegen.

Im Gespräch merkte ich dann: ach so, der ist einfach konservativ. Der hat ein ganz klassisches Familienbild, und obwohl ich das altbacken und irgendwie nicht ganz korrekt finde, dachte ich dann doch: ja okay, das kann man natürlich so finden. Das ist altmodisch, aber nicht boshaft.

Einige Punkte haben mich zwar doch etwas aufgeregt, zum Beispiel sprach er sehr deutlich aus einer Position, wo Männer den Frauen Dinge zugestehen („we should let them have the same chances“ – klingt nach Gleichberechtigung, ist aber total männerzentriert). Aber insgesamt dachte ich doch: ja okay, man erwartet rund um die Frisbee lauter Hippies, und der ist einfach rechts von der Mitte. Das darf es geben.

Außerdem hatte dieser Mensch durchaus eine Position zu Sexismus, allerdings war ihm besonders wichtig, dass auch Jungen und Männer betroffen sind, und für die Thema wollte er sich stark machen. Er hatte das Gefühl, die Männer kämen mittlerweile zu kurz.

Das ist eine spannende Position. Einerseits weiß ich, dass die Bildungsforschung tatsächlich etwas sorgenvoll auf die Jungen schaut. In Kindergärten und Schulen gibt es wenig männliche Ansprechpartner, man darf sich wenig bewegen oder toben, und klassisch weibliche Verhaltensweisen sind die, die man können muss (Zuhören, Warten, in in Gruppe arbeiten). Andererseits klingt das enorm nach Whataboutism. So nennt man das rhetorische Mittel, auf berechtigte Kritik mit einer neuen berechtigten Kritik zu antworten und sie damit zu überschreiben.

„Frauen sind von Sexismus stets umgeben, von sexueller und physischer Gewalt bedroht und bekommen für die gleiche Arbeit weniger Lohn.“

„Ja, aber what about Männer die in Jobs und Kriegen verheizt werden, weil ihre Leben weniger wert sind? Und Jungen sind auch Opfer von sexueller Gewalt.“

Zu diesem Whataboutism ist die eigentlich einzig richtig Antwort: Kann sein, aber wir sprachen gerade von etwas anderem.

Die Punkte der Men’s Rights Bewegung kann man sich durchaus mal anschauen, denke ich, aber nicht als Form des Wegwischens von bestehenden Themen, die hauptsächlich Frauen betreffen. Es ist kein Wettkampf. Es geht weder darum, wer schlimmer oder hinterhältiger oder öfter von Sexismus betroffen ist, noch geht es darum, welchen Sexismus wir denn nun abschaffen wollen. Sexismus existiert, und er betrifft uns alle.

Vielleicht weil wir ihn (häufig ungewollt) mittragen, weil wir „Mädchen“ als Schimpfwort benutzen, weil wir weniger Interesse an Frauensport haben, weil uns das Leiden von Männern weniger interessiert und wir sie, falls sie doch mal Schwäche zeigen, mit Schimpfwörtern überziehen, die nur funktionieren wenn man Frauen und ihre Genitalien doof findet.

Vielleicht auch, weil wir davon betroffen sind, weil wir als Mann oder Frau gelesen werden und dann irgendwas von uns erwartet wird, gute Haut zu haben, Multitasking zu können, stark zu sein, schmutzige Witze gut oder eben schlecht zu finden.

Jedenfalls nervt mich dieses ganze „Aber wir Männer“, und eigentlich auch das „Aber wir Frauen“. Nix aber. Sexismus nervt und betrifft uns alle. Genderrollen sind unfassbar mächtig. Lasst uns doch bitte gemeinsam eine Gesellschaft machen, in der sich nicht alles um Geschlecht dreht.

Ich glaube nämlich, dieses kämpferische (anstatt konstruktive) führt genau zu dem Denken in Fronten.

Letztens habe ich einen guten Artikel darüber gelesen, von wie viel Sexismus Frauen betroffen sind, ständig. Immer wieder. Ich mochte den Artikel, aber irgendwann stutzte ich: es ging dann darum, dass Männer Frauenkörper ständig bewerten, und dass Frauen schon als Mädchen damit klarkommen müssen, dass ihnen erwachsene Männer auf die Brüste schauen. Und das klang wieder so nach Fronten…

Und ich dachte: Ich will so nicht sein, aber irgendwas daran ist auch unfair. Das klingt so, als wenn die Männer den Sexismus erschaffen, aber sie sind ja genauso hinein geboren wie Frauen. Denn genauso wie Frauen gelernt haben, einem Schönheitsideal entsprechen zu müssen, das im Wesentlichen 15-jährige beschreibt (schlank, schmale Knöchel, feste Brüste, glatte Haut, leuchtende Augen), so habe auch ich als Mann gelernt, genau das schön zu finden. Und ich bin mir maximal bewusst, dass das nervig sein muss, und dass ich mit 37 überhaupt gar nichts mit 15-Jährigen zu tun haben sollte oder auch will, was mit Sexualität zu tun hat, aber mein Gehirn ist natürlich völlig darauf ausgerichtet, diese Art von Schönheit zu bemerken.

Und ich mag es nicht, dass ich dadurch sofort zum Komplizen des Sexismus werde, quasi zum Feind der Frauen (wenn man in diesen Lagern denkt). Ich hab mir das nicht ausgesucht, glatte Achseln hübsch zu finden oder dünne Beine oder flache Bäuche oder jugendliche Haut.

Es wird Männern doch schon sehr früh beigebracht: eine hübsche junge Frau erobert zu haben ist etwas Gutes. Ich höre öfter, wie dieses seltsame Kompliment gemacht wird, dass die Ehefrau aber schön ist. Manchmal wird das auch über Bande gespielt: „Gnädige Frau, Hallooo, oho“ zwinkerzwinker-zum-Mann. Ekelhaft. Aber blöd finden reicht leider noch nicht, um diese Prägung abzuschütteln. Ich finde es auch blöd, wenn mein Blick auf einen knackigen Po fällt, und ich dann feststellen muss, dass der dran hängende Mensch weit weg von meiner Altersklasse ist. Ich will Frauen nicht objektivieren, und Mädchen schon gleich gar nicht, aber was mache ich denn jetzt? Schön die Fresse halten und so tun als würde dieser Auswuchs des Sexismus und Schönheitswahns nichts mit mir zu tun haben, scheint mir feige. Und mich zu kasteien und zu verurteilen, weil ich knackige Pos mag, greift doch auch irgendwie zu kurz und führt nur in die Spaltung.

(Randbemerkung zu diesem ohnehin schon zu langen Artikel: die Freude an Physis und Schönheit ist mir übrigens in unserer Gesellschaft viel zu eng an Sexualität gekoppelt und dadurch dann auch an Sexismus. Dazu mal wann anders mehr.)

Ich wünsche mir ein Klima, in dem es möglich ist, die Wirkung von Sexismus, den Einfluss des Patriarchats zu erkennen, anzusprechen und damit zu enttarnen. Gerade traut man sich ja vieles gar nicht zu sagen, weil man ratzfatz in der falschen Ecke steht. Dass ich als Familienberater davon schreibe, dass ich 15-Jährige schön finde ist ein Karriererisiko. Und andere Männer (und Frauen) nehmen solche „Denkverbote“ genau als Grund, um den Feminismus blöd zu finden, sich abzugrenzen.

Ich wäre gern viel freier von diesen ganzen Ideen über Geschlecht und Schönheit und Sex. Bin ich aber nicht. Niemand ist das.

Und immer nur mit dem Finger auf die Leute zeigen, die es schlechter hinbekommen als man selber, stellt mich auch nicht zufrieden.

Deshalb: Weg mit dem Denken in Lagern, ein bisschen Verständnis füreinander, dass wir alle ganz komische Ideen zu Geschlecht in uns tragen, und öfter mal gucken, ob man in Zukunft was anders machen kann – für sich selbst oder zumindest für die Kinder, denen wir den ganzen Schmuh ja wieder mitgeben („Du siehst aber hübsch aus!“, „Du bist aber stark!“).

Kommentare

  • Äh. Ja. Die länge des Textes und die Vielfalt der Gedanken, macht es in der Tat schwierig zu kommentieren. Will ich aber. Daher …

    Erstens: Vielleicht bin ich da zu utopistisch oder zu idealisitisch, oder zu wenig biologistisch. Aber ich finde, dass das, was aus zivilisatorischer Sicht das Angemessene ist, auch das ist, was man machen sollte. Und alles andere halt nicht. Wir sind nur da, wo wir sind, weil sich Generation und Generationen vor uns eben nicht von allem möglichen Trieben und Sozialisierungen haben leiten lassen, sondern weil Leute über sich, über ihre Natur, über den Status Quo hinausgewachsen sind. Ohne das hätten wir immer noch Sklaven, kein Demokratie, kein freies und gleiches Wahlrecht für alle … und das ist erst das Anfang. Wenn man also beigebracht bekommen hat die Pöter von 15 Jährigen attraktiv zu finden, dann mag das vielleicht so sein, dem Taten folgen zu lassen ist aber eben einfach falsch.

    Zweitens: Ich bin verblüfft, wie weit vorne Du anfängst. Wenn ich mich nicht sehr sehr irre, bist Du innerlich gedanklich doch schon deutlich weiter. Ich meine … es ehrt Dich, gerade im Sinne Deines eigenen Textes, dass Du versuchst, Leser weiter vorne abzuholen. Ich für meinen Teil habe das drangegeben. Um es mal mit dem Klappentext des grossartigen Buches „Gender as a Spectrum“ zu sagen (den ich nur aus der Erinnerung rezitieren muss, weil ich das Buch gerade nicht zur Hand habe): Vielleicht ist es so, dass es eines Tages soviele Geschlechter wie Menschen geben wird. Und je öfter und länger ich darüber nachdenke, desto selbstverständlicher erscheint mir diese Position, selbstverständlich im Sinne von „We hold these truths to be self-evident“ … und ich glaube, dass sie eines Tages wirklich so selbstverständlich sein wird, wie heute die Position, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit (was 1776 ja nun wahrlich auch noch keine Selbstvertständlichkeiten waren).

    • Hallo Ben! Ja, in der Tat, der Artikel ist etwas unaufgeräumt… Ich hab dann irgendwann einfach entschieden, ihn zu posten, der liegt hier schon seit Monaten.

      Erstens: ja natürlich ist völlig klar, was zu tun ist! Selbstverständlich geht es nicht darum, aus irgendwelchen Impulsen richtiges Verhalten abzuleiten. Ich glaube mir ging es vor allem darum, dass diese Impulse (und der jugendliche Po ist da halt ein bewusst gewähltes drastisches Beispiel) ganz viel gelesen werden als Teil der Gewalt, als Mittäterschaft, und ich finde es blöd, weil ich diese Impulse auch als Teil von Leben im Patriarchat erlebe. Heißt nicht, dass die deshalb okay sind, aber ich wünsche mir einen offeneren Feminismus, in dem die Fronten aufgelöst werden. Also: sich nicht von den Sozialisierungen leiten lassen, aber eben auch nicht anhand der Sozialisierungen in Freund und Feind einteilen.
      Das funktioniert auch mit Beispielen zu Rassismus oder Transgender. Nicht jeder, der was komisches/ altbackenes empfindet, ist der Feind – aber in linken Kreisen erlebe ich das so.

      Zweitens: Dass ich so früh anfange, ist übrigens tatsächlich für mich der Reiz eines Blogs: ich bin gezwungen so zu schreiben, dass der Artikel für sich steht. Hilft mir beim denken. :)

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